2 - Licht und Kultur: Die Welt in Farbe als Herausforderung an die Philosophie [ID:5879]
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Dieser Audiobeitrag wird von der Universität Erlangen-Nürnberg präsentiert.

Dr. Rudolf Kötter ist Geschäftsführer des Zentralinstituts für angewandte Ethik und Wissenschaftskommunikation der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

Seine Arbeitsschwerpunkte liegen vor allem in der Wissenschaftstheorie der Naturwissenschaften und in der angewandten Ethik.

Der Satz, diese Rose ist rot, gilt seit Alters her als Musterbeispiel für einen in jeder Hinsicht einfachen Aussagesatz.

Wenn man die Kennzeichnung logisch auflöst, wird auch seine einfache Begründungsstruktur erkennbar.

Dieser Gegenstand ist eine Rose und dieser Gegenstand ist rot.

Man überzeugt sich über seine Richtigkeit bzw. Falschheit durch schlichtes Hinsehen rot und durch Abrufen einiger ebenfalls durch schlichtes Hinsehen erfassbarer Merkmale, die den Gebrauch des Prädikators Rose festlegen.

Seit der Antike lässt uns die Vorstellung nicht mehr los, dass unser Wissen von der Welt in letzter Instanz aus solchen einfachen, hinsichtlich ihrer Gültigkeit jederzeit eindeutig überprüfbaren Sätzen aufgebaut sein muss.

Die klassischen Empiristen der deutschen Aufklärung postulierten, dass sich jede Erfahrung ausschließlich aus Eindrücken zusammensetzt, die wir durch unsere Sinne von der Welt außer uns geliefert bekommen.

Sicher, wir wissen, dass uns unsere Sinne gelegentlich täuschen können. Wir wissen aber auch, dass man diese Täuschungen wiederum nur durch den geschickten Einsatz unserer Sinne entlarven, korrigieren und vermeiden kann.

Die logischen Empiristen des 20. Jahrhunderts haben dann dieses sinnliche Fundament der Erfahrung in sprachlicher Hinsicht ergänzt.

Der Protokollsatz, der den subjektiven sinnlichen Eindruck sprachlich fixiert, gilt als fundamental in dem Sinn, dass er weder aus theoretischen Überlegungen abgeleitet, noch durch diese korrigiert werden kann.

Mit anderen Worten, das Besondere der empirischen Erkenntnis zeigt sich in der Begrifflichkeit und Form der Sätze, mit denen sie ausgedrückt wird.

Diese Überzeugung hat man in einem Sinnkriterium zusammengefasst.

Jeder sinnvolle Begriff bezieht sich entweder selbst auf unmittelbar beobachtbare Gegenstände oder er lässt sich mit Hilfe solcher Begriffe ausdrücken.

Und in letzter Instanz erfolgt diese Begründung einer empirischen Behauptung immer unter Bezugnahme auf die Ergebnisse unmittelbarer Beobachtung.

Ich sehe hier und jetzt diese rote Rose, das ist der Protokollsatz, und darf deshalb behaupten, diese Rose ist rot.

Nach diesem Muster sollten sich letztlich alle empirischen Urteile aufbauen lassen.

Aber schon dieser auf den ersten Blick so harmlose Satz hat es in sich.

Gerade an Aussagen über Farbphänomene lässt sich deutlich machen, dass die Hoffnung vergeblich ist, auf einfachem und geradem Weg zu sicherer und verlässlicher Erkenntnis zu kommen.

Farben regen zum Philosophieren an, hat Ludwig Wittgenstein gesagt. Und damit hat er zweifellos Recht gehabt, wie wir im Folgenden sehen werden.

Der Übergang vom subjektiven Protokollsatz zum objektiven Urteil funktioniert nur unter Zuhilfenahme einer metaphysischen Prämisse.

Es gibt eine reale Welt außerhalb von uns und deren Beschaffenheit hängt nicht davon ab, ob wir sie nun gerade in den Blick nehmen oder nicht.

Ohne Annahme dieser Grundvoraussetzung kann man nicht von Erfahrung sprechen.

Nehmen wir einmal an, nach dieser Veranstaltung, wenn das Licht im Saal gelöscht sein wird und wir alle nach Hause gehen werden, merke ich auf der Treppe, dass ich meine Rose vergessen habe.

Dann darf ich im Sinne der genannten Grundannahme selbstverständlich davon ausgehen, dass sie noch hier auf dem Tischchen, auf dem Pult in ihrer Vase stehen wird.

Aber ist sie dann auch noch rot? Das heißt behält die Rose im Dunkeln ihre Farbe und kann man diese wegen der Dunkelheit bloß nicht sehen,

sowie man ihre artbestimmenden Merkmale wie Blütenstruktur, Blätter, Stacheln im Dunkeln nicht sehen, wohl aber fühlen kann?

Man weiß ja, dass das Rote an der Rose vom Farbstoff Cyanin herrührt, der in den Zellen ihrer Blütenblätter eingelagert ist.

Und dieser Farbstoff bleibt der Rose zweifellos erhalten, auch wenn es stockfinster wird.

Den Nachweis dafür könnten Chemiker erbringen, zur Not auch im Dunkeln.

Aber Cyanin ist als chemische Verbindung durch seine Molekularstruktur charakterisiert und Farbe ist kein chemisches Strukturelement.

Das Cyanin-Rot-erscheint ist ein Sachverhalt, der sich dem Betrachter erst bei Licht betrachtet darbietet.

Von unsichtbaren Farben zu sprechen erscheint zu widersinnig wie von unhörbaren Geräuschen zu sprechen.

Und dies liegt nicht daran, dass es den Naturwissenschaften bislang noch nicht gelungen ist, solche Phänomene zu entdecken.

Der Grund dafür liegt weder in den Wissenschaften noch in einer Farbenlehre, sondern in dem, was Wittgenstein die Logik des Wortgebrauchs nennt.

Mit Farbpredigatoren bezeichnen wir Eigenschaften der Dinge, die einen bestimmten Sinneseindruck vermitteln.

Und dieser stellt sich nun einmal nur im Licht ein.

So sind Farbwörter in ihrer pragmatischen Funktion bestimmt und deshalb kann man apodiktisch festhalten, wo kein Licht, da keine Farbe.

Allerdings so ganz von der Farbe abgeschnitten ist die Rose auch im Dunkeln nicht.

Zwar sprechen wir der Rose nur im Licht die aktuelle oder manifeste Eigenschaft rot zu, im Dunkeln sprechen wir ihr aber wenigstens die dispositionelle Eigenschaft bei Licht wieder rot zu erscheinen zu.

Dispositionelle Eigenschaften sind für uns nichts besonderes, die Predikatoren, mit denen sie bezeichnet werden, werden im Deutschen häufig durch die Silben Licht, Bar oder Keit charakterisiert.

So wird die Disposition der Glasvase beim Aufschlagen auf den Boden zu zerbrechen durch den Satz, diese Vase ist zerbrechlich.

Entsprechend sage ich von einem Stück Würfelzucker, es sei wasserlöslich.

Ein Kupferkabel hat die Disposition Strom zu leiten, wenn Spannung angelegt wird, wofür wir allerdings keinen eigenen Dispositionsausdruck haben.

Stromleitlich gibt es im Deutschen nicht, wir müssen diese Disposition etwas umständlicher ausdrücken.

Und auch dafür, dass die Rose im Dunkeln die Disposition hat, im Licht rot zu erscheinen, haben wir kein eigenes Wort.

Offensichtlich korrespondieren Zustände, in denen man einem Gegenstand eine aktuelle Eigenschaft zuschreiben kann, zumindest gelegentlich mit anderen Zuständen, in denen genau diese Eigenschaft nur dispositional vorhanden ist.

Nach dem Programm der logischen Empiristen ist aber eine Eigenschaft nur dann wirklich vorhanden, wenn sie sich aktuell aufweisen lässt.

In diesem Sinne wären Dispositionsausdrücke nur dann empirisch sinnvoll, wenn man sie mittels Prädikatoren definieren könnte, die aktuelle Eigenschaften bezeichnen.

Teil einer Videoserie :

Presenters

Dr. Rudolf Kötter Dr. Rudolf Kötter

Zugänglich über

Offener Zugang

Dauer

00:45:48 Min

Aufnahmedatum

2015-06-25

Hochgeladen am

2015-12-21 11:11:11

Sprache

de-DE

Der Satz „Die Rose ist rot“ gilt schon immer als Muster für eine elementare  empirische Aussage, über deren Gültigkeit man sich durch schlichten Augenschein überzeugen kann. Bei näherer Betrachtung verfliegt allerdings dieser Eindruck der Klarheit und Einfachheit: Ist die Farbe eigentlich eine Eigenschaft eines Gegenstandes  oder nicht eher eine Eigenschaft des einfallenden Lichts? Oder ergibt sich der Farbeindruck erst als Folge einer Interaktion von Licht und Gegenstand?  Oder hat die Farbe unmittelbar gar nichts mit der Beschaffenheit der Welt zu tun, sondern entsteht erst und ausschließlich in unserem Kopf? Wenn wir im Vortrag einigen dieser Fragen nachgehen, stoßen wir in wichtige Bereiche der philosophischen Erkenntnistheorie vor und werden dabei die Erfahrung machen, dass Theorie keineswegs immer grau und dröge sein muss, sondern auch bunt und spannend sein kann.

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